Stadtbienen-Gründer Johannes Weber verfolgt die Diskussionen rund um Honig- und Wildbienen seit mehr als 10 Jahren – und sammelt darüber hinaus als ökologischer Imker viele eigene Erfahrungen zum Thema. Er sagt: Es ist Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen.
Autor: Johannes Weber
Die Angst vor dem Bienensterben
Die Verwirrung könnte nicht größer sein. Einerseits haben viele Menschen noch immer das Bienensterben im Kopf, das vor etwa 10 Jahren sehr präsent in den Medien war. Der Begriff “Bienensterben” wurde als Übersetzung für den englischen Begriff Colony Collapse Disorder Syndrom (CCD) verwendet, welcher ein plötzliches Verschwinden der Arbeiterinnen aus einem Bienenstock beschreibt. [1] Medial wurde der Begriff als Schlagwort genutzt, um auf die hohen Winterverluste und geringe Völkerzahlen bei den Honigbienen aufmerksam zu machen. Und das machte Angst. Denn, was damals stimmte, ist heute noch genauso wahr: Wir brauchen die Honigbiene zur Bestäubung eines großen Teils unserer Nahrung, sie ist eine Schlüsselfigur im Ökosystem.
Die Honigbienenpopulation hat sich erholt
Auf der anderen Seite geht es den Honigbienen inzwischen angeblich prächtig. Glaubt man den Aussagen von Jan Böhmermann in der ZDF-Magazin-Royale-Sendung vom November 2023, hat die Haltung von Honigbienen kaum einen Mehrwert für die Natur.
Johannes Weber auf dem Stadtbienen-Panel zum Thema “Bienen sterben, oder nicht?”
Der Stadtbienen-Gründer hat einen Traum: Honigbienen, die auch ohne menschliche Betreuung überlebensfähig sind. Er will die Honigbiene zurück in die Wälder bringen.
Statistisch lässt sich die Behauptung, Honigbienen seien nicht mehr gefährdet, leicht durch die Anzahl der gestiegenen Bienenvölker belegen. In den letzten zehn Jahren haben sich immer mehr Menschen mit Honigbienenhaltung auseinandergesetzt und es ist erfreulich zu sehen, dass die Völkerzahlen steigen und aktuell wieder auf dem Niveau von vor 25 Jahren angekommen sind. Entsprechend wandelt sich das Narrativ: Es gibt, so die sich langsam verbreitende Meinung, kein Bienensterben mehr. Das legt für viele den Schluss nahe, dass damit auch die Probleme der Honigbienen gelöst sind.
Doch geht es der Honigbiene wirklich so viel besser?
Leider nein. Denn Masse ist in der Regel leider nicht Klasse. Auch wenn wir aktuell keine Angst vor einer zu geringen Bestäubungsleistung durch Honigbienen haben müssen, ist eines der Kernprobleme längst nicht gelöst. Die Honigbiene war über Jahrmillionen ein effizient bestäubendes Insekt, welches unabhängig von menschlicher Einflussnahme überlebensfähig war, bis ihre Domestizierung und Wandlung in ein Nutztier stattgefunden hat. Inzwischen wird sie in Europa im Grunde künstlich am Leben gehalten. Eine Studie aus Gotland gibt Aufschluss darüber, dass innerhalb von nur einem Jahr ca. 76 % aller Honigbienenvölker tot wären, würden alle Imker und Imkerinnen ihr Handwerk niederlegen. [2] Die Situation der Honigbiene steht demnach symbolisch für das Zeitalter des Menschen. Der Mensch hält die Honigbienen am Leben, damit diese durch ihre nach wie vor hohe Bestäubungsleistung die Lebensgrundlage des Menschen erhalten.
Wir brauchen die Bestäubungsleistung der Honigbiene – und die Honigbiene braucht uns
Gute Nachrichten: Die Honigbienenpopulation hat sich erholt. Nun wird es Zeit, die Bienenhaltung zu hinterfragen.
Aber was ist mit den Wildbienen?
Auch wenn die Wildbienen vom Menschen nicht als Nutztiere gehalten wurden, haben es viele Wildbienenarten auf andere Weise schwer. Faktisch steht etwa die Hälfte der circa 600 einheimischen Arten auf der Roten Liste und ist damit vom Aussterben bedroht. [3] Gegenüber den Honigbienen leben die meisten Wildbienen solitär (sie bilden demnach keine Staaten) und sind häufig hoch spezialisiert auf bestimmte Blütenpflanzen. Gerade in jüngster Zeit häufen sich die Aussagen, dass die Honigbienen den Wildbienen zur Konkurrenz werden, die Zunahme der Honigbienenpopulation gar schädlich für Wildbienen ist. Das konkrete Narrativ lautet mit Blick auf diese scheinbare Dichotomie etwa folgendermaßen: Die Honigbienen, welche vom Menschen noch zusätzlich gedopt werden, essen den Wildbienen den Nektar bzw. die Pollen weg. Daraus entstand ein Grabenkampf zwischen den Honig- und Wildbienenlobbys, welcher den Blick auf das Essenzielle überdeckt. Was Honig- und Wildbienen nämlich gemeinsam haben, sind die alltäglichen Probleme im Kampf um ausreichend gesunde Nahrung und passende Nistplätze. Die intensive Landwirtschaft setzt ungebremst Pestizide in großen Mengen ein und fördert durch Monokulturen einen stetigen Rückgang an biodiversen Flächen. Die Stadt galt lange als attraktiver Rückzugsort für Insekten und wird aktuell noch als Hotspot der Biodiversität bezeichnet, verliert jedoch auch durch anhaltende Versiegelung und Verdichtung an wilden Ecken, die für Insekten (lebens-)wichtig sind.
Ein Problem, das alle Bienen betrifft: zunehmende Versiegelung und Verdichtung von Flächen
Ob auf dem Land oder in der Stadt: Es braucht mehr naturnahe Flächen, damit Insekten ganzjährig Nahrung und Nistplätze finden.
Eine naturnahe Flächennutzung als Schlüssel zu mehr Biodiversität
Am Beispiel der Bienen zeigt sich, dass spezifische Themen wellenartige Hochkonjunkturen haben und der Blick auf größere Zusammenhänge dadurch eingeschränkt wird.
Es ist weder zielführend, die Honigbienen als gesund zu deklarieren, noch sie als Opponenten zu den gefährdete(re)n Wildbienen zu positionieren und damit die nächste Biene durchs Dorf zu jagen. Ein ganzheitlicher Ansatz ist nötig, um den komplexen Problemen gerecht zu werden. Es ist unabdingbar, das Ökosystem als Ganzes zu betrachten.
Eine sich daraus ergebende Maßnahme wäre, die Freiflächen, die uns zur Verfügung stehen, so biodivers zu gestalten, dass bestäubende Insekten ein ausreichendes Nahrungsangebot und Nistmöglichkeiten vorfinden. Hierzu zählen vorrangig die landwirtschaftlichen Flächen, die circa 50 % der deutschen Landesfläche ausmachen. Aber auch im besiedelten Raum gilt es, jedes bepflanzbare Fleckchen mitzudenken, vom Vorgarten des Mietshauses bis hin zum Grünstreifen zwischen dem Parkplatz einer mittelständischen Firma und dem Unternehmensgebäude.
Das Unternehmensgelände als Biodiversitäts-Hotspot in der Stadt
Am Schnellladepark der Mercedes-Benz-Niederlassung am Flughafen Berlin Schönefeld haben wir aus 100 m² ungenutzter Fläche in weniger als einem Jahr ein artenreiches Biotop gezaubert. Wie wir das gemacht haben, liest du hier.
Ökologische Bienenhaltung für resiliente Bienen
Honigbienen sollten durch andere Haltungsmethoden, bei denen keine Züchtung vorgesehen ist und den Bienen der Honig zur eigenen Überwinterung überlassen wird, in ihrer Resilienz gefördert werden. In Zukunft ist nicht allein entscheidend, wie viele Bienenvölker es in Deutschland gibt, wichtiger noch sollte sein, wie diese gehalten werden. Das Ziel sollte sein, dass es wieder stabile Populationen von Honigbienen gibt, die nicht in Abhängigkeit von menschlicher Betreuung leben müssen.
Denn schließlich war auch die Honigbiene einst ein wildes und freies Insekt, das menschlicher Hilfe nicht bedurfte, um zu überleben. Die Honigbiene wieder zurück in die Wälder zu bringen, das gilt es zu erreichen, dafür benötigt es aber zudem einen Wandel in der Art und Weise, wie wir unsere Wälder gestalten.
Wilde Honigbienen in einer Baumhöhle
Dass es noch wilde Honigbienen in Europa gibt, galt lange als unwahrscheinlich. Doch es gibt Hoffnung: In den vergangenen Jahren wurden selbsterhaltende wild lebende Honigbienenpopulationen entdeckt, die beispielsweise in hohlen Strommasten überleben. [4] Aber auch in Baumhöhlen konnten Forschende in Deutschland und Nordpolen vereinzelt wieder wilde Honigbienen beobachten. [5]
Die Honigbiene als Botschafterin für Biodiversitätsschutz
Es wird immer klarer, dass wir das Problem des Bienen- bzw. Insektensterbens von mehreren Seiten aus betrachten und bearbeiten müssen. Dies kann nur geschehen, wenn viele Menschen die eigentlichen Probleme erkennen und von der Notwendigkeit zu handeln überzeugt sind und schließlich in ihrem Aktionsradius tätig werden. Hier ist die Honigbiene eine tolle Botschafterin. Menschen, die ein Bienenvolk durch Seminare bzw. integriert in den Schulunterricht durch das Jahr begleiten, bekommen einen Zugang zu Themen des Umweltschutzes, verstehen die Relevanz eines intakten Ökosystems und erkennen die Vielfalt der Arten als unsere Überlebensversicherung.
Spannendes Thema? Dann schau gerne auf unserem YouTube-Kanal vorbei. Dort findest du die Podiumsdiskussion zum Status quo von Wild- und Honigbienen anlässlich des 10-jährigen Stadtbienen-Jubiläums. Neben Stadtbienen-Gründer Johannes Weber haben die folgenden Expert:innen am Panel teilgenommen:
- Prof. Dr. Dr. h. c. Randolf Menzel (Neurobiologe und Leiter des neurobiologischen Instituts der Freien Universität Berlin)
- Eva Baumgärtner (DIHK Service GmbH, Projektkoordinatorin von UBi – Unternehmen Biologische Vielfalt)
- Christian Schmid-Egger (Entomologe und Wildbienenexperte)
- Ulrike Dreykluft (Director ESG bei Hines Immobilien)
Ihr macht eine tolle Arbeit – Respekt und Anerkennung!
Lieber Hans, so ein schönes Lob bedeutet uns viel! Danke! Liebe Grüße, Nadin von den Stadtbienen