Die Ukraine – Honigland Europas

Die Imkerei ist eng verwoben mit der Geschichte der Ukraine. Unsere Autorin hat mit einer jungen Imkerin gesprochen, die aufgrund des Krieges nach Deutschland fliehen musste.

Autorin: Josephine Ziegler

Wenn Kateryna Lisovska beschreiben soll, was ihre Bienen für sie bedeuten, findet sie kaum Worte. Damit bringt sie auch zum Ausdruck, wie wichtig die Imkerei für die Ukraine ist, ihr Heimatland.

“An erster Stelle steht meine Familie – dann kommen gleich die Bienen”

Eigentlich wollte sie gar keine Imkerin werden. Doch das Dorfleben bei ihrer Großmutter, mit Jobs hier und da, empfand die junge Frau als eintönig und aussichtslos. “Als junger Mensch wollte ich mehr”, erinnert sich Kateryna. Und so verhießen die freiesten aller Nutztiere auch ihr ein neues Leben. Sie machte ein Fernstudium am Institut für Imkerei P. I. Prokopowytsch. Durch die Vermittlung einer Freundin bekam sie anschließend in Kyiv eine Stelle auf einem großen landwirtschaftlichen Betrieb, der neben vielen anderen Nutztieren auch Bienen hielt. Von ihren erfahrenen Kolleg:innen – je zur Hälfte Frauen und Männer, wie Kateryna betont – lernte sie die Praxis des Berufs.

Eine wertvolle Kulturtechnik

Wie Prokopowytsch nutzen Kateryna Lisowska und ihre Kolleg:innen Magazinbeuten mit herausnehmbaren Rahmen.

Entdeckeln in Handarbeit

Kateryna Lisowska schneidet die Wachskappen von den Rahmen, um sie für die Honigernte vorzubereiten.

Die Imkerei ist in der Ukraine tief verwurzelt

Schließlich bekam Kateryna drei Völker der polnischen Carnica-Bienen geschenkt, die sie im Garten hält – zuhause in Malyn, einer kleinen Stadt nordwestlich von Kyiv. In diesem Frühjahr kam Kateryna wegen des Kriegs in der Ukraine nach Deutschland, wo sie seit Kurzem mit ihren beiden Söhnen in einer Wohnung im sächsischen Freital wohnt. In ihrem Heimatland pflegen etwa 400.000 Imker:innen (mehr als dreimal so viele wie in Deutschland) ungefähr 3,5 Millionen Bienenvölker (viermal so viele). Sie produzieren Wachs, Pollen, Gelée Royale und Propolis. Die Nutzung dieser wertvollen Produkte ist tief in der Bevölkerung verankert. Auch die Kosmetik- und Pharmaindustrie profitiert von dem Überangebot an heimischen Bienenerzeugnissen [1].

Das Land, wo Wachs und Honig fließen

Aber vor allem handelt es sich um das Honigland Nummer eins in Europa, mit einer Produktion von zuletzt 65.000 Tonnen jährlich. Fast ein Viertel davon wurde allein nach Deutschland exportiert. Wegen des Kriegs könnte der Honig in den hiesigen Supermärkten demnächst knapp werden, wie der deutsche Honigverband befürchtet [2]. Die Bandbreite des ukrainischen Honigs ist so groß wie das Land selbst. Kateryna erntet vor allem die Erträge von Buchweizen und Sonnenblumen. Aber auch die Blüten von Linden, Akazien und zahlreichen Kräutern und Wiesenblumen werden von den ukrainischen Bienen angeflogen.

Die Biene gehört zur Ukraine

Die Bienenhaltung ist eng mit der Geschichte und Kultur der Ukraine verbunden und über tausend Jahre belegt. Die Kiewer Rus, ein mittelalterliches Großreich und Vorläuferstaat der Ukraine, Russlands und Belarus’, exportierte bereits Honig und Wachs. In ganzen sieben Kapiteln der “Russka Pravda”, dem Gesetzeskodex der Rus aus dem 12. Jahrhundert, wurde die Imkerei erwähnt.

“In der Nähe der Bienen ruht sich mein Geist aus”

Was Kateryna heute an ihren Bienen schätzt, haben sich auch ehemalige Kosaken im 16. Jahrhundert zu Nutze gemacht, wie man sich erzählt. Erschöpft vom Soldatenleben ließen sie sich im damals noch kaum besiedelten Osten der Ukraine nieder und begannen Bienen zu halten, noch bevor sie Farmen errichteten. Manche sprechen auch davon, dass die Biene in der Ukraine ein heiliges Tier sei. Zumindest sieht man sie als Begleittier auf Ikonen-Darstellungen des St. Zosima und St. Savatiy. Manchmal hängen die Heiligenbilder noch an Bienenstöcken selbst, um sie und die Arbeit der Imker:innen zu segnen [3]. Bestimmt kann man sie auch auf dem Honigfest kaufen. Dieses Event am 19. August ist eine feste Größe in allen ukrainischen Regionen, um das Ende der Honigernte zu zelebrieren – und seit 1997 Feiertag.

Blau und Gelb

Die Bienenstöcke von Kateryna Lisovskas Arbeitsstelle sind bereit für den Winter.

Imker Prokopowytsch legte den Grundstein für die moderne Imkerei

Eine Ikone weltlicher Art ist in der Ukraine Petro Prokopowytsch (1775-1850). Auch er widmete sich der Imkerei, nachdem er sich vom Militärdienst zurückgezogen hatte. Mit seiner Erfindung der weltweit ersten Rahmenbeute legte er 1814 den Grundstein für die Imkerei als eigenen Wirtschaftszweig der Landwirtschaft. Die Bauweise der Rahmenbeute ermöglicht es, Honig zu entnehmen, ohne den Bienenstock zu zerstören. Prokopowytschs Ziel, die Bienenfamilie so wenig wie möglich zu stören, machte die Imkerei damit auch ökonomisch tragfähig.

Bei einer Rahmenbeute werden Holzrahmen in die Bienenbehausung eingesetzt, an denen die Bienen ihre Waben bauen. Die Imker:in kann jedes Rähmchen einzeln entnehmen, untersuchen und wieder einsetzen, ohne die Waben zu beschädigen und das Bienenvolk zu sehr zu stören. Man spricht hier auch von “Mobilbau”.

Die erste Bienenzuchtschule der Welt

Prokopowytsch studierte eingehend das Verhalten seiner bald 6000 Völker und probierte mit deren Hilfe seine methodischen Überlegungen in der Praxis aus – beispielsweise zu einem ersten Absperrgitter zwischen Brut- und Honigraum. Seine Erkenntnisse gab er in der von ihm gegründeten Schule weiter. Dabei handelte es sich nicht nur um die erste Bienenzuchtschule der Welt. Er verfolgte auch eine soziale Mission, indem er Aphabetisierungs- und Grundrechenkurse für die arme Landbevölkerung anbot [4] – Ganz nach dem Motto “Lasst uns von den Bienen Einheit lernen”.

Outdoor-Honigküche

Katerina Lisowska erntet Honig im Schutze eines Netzzelts auf dem Feld.

Ein vielseitiges Nebenprodukt

Wachs aus den Rahmen des Bienenstocks

Von den Bienen Einheit lernen

Diesen Wahlspruch hat sich die Bruderschaft der ukrainischen Imker (in deren Vorstand auch schon eine Imkerin war) auf die Fahne geschrieben. Diese Organisation, in der auch der ehemalige Präsident Juschtschenko aktiv war, engagiert sich in der Interessenvertretung und Fortbildung von Imker:innen in Kooperation mit den Forschungseinrichtungen [5]. Davon gibt es eine ganze Reihe an ukrainischen Universitäten, allen voran das nach Prokopowytsch benannte Institut der Imkerei. Als Nationales Wissenschaftscenter führt es die Arbeit seines Namensgebers fort, forscht intensiv an Zuchtmethoden und technologischen Verbesserungen der Imkerei. Die ukrainischen Züchtungen der Karpatenbiene sind international gefragt. Das Institut setzt außerdem die einheitlichen Qualitätsstandards für den Export-Honig.

Wissenschaftliche Erforschung apitherapeutischer Methoden

Aber auch die Weiterentwicklung [6] sogenannter apitherapeutischer Methoden steht auf der Agenda des Instituts. In der Ukraine ist beispielsweise die Stocklufttherapie eine beliebte therapeutische Maßnahme. Dabei wird die jahrhundertealte Erfahrung des gesundheitlich positiven Einflusses der Arbeit mit Bienen auf die saubere, mit Propolis und Wachs angereicherte Luft aus den Bienenstöcken zurückgeführt. Sie gezielt einzuatmen könnte bei Asthma helfen. Eine westukrainische Firma baut und exportiert Holzhütten mit integrierten Bienenstöcken, in die man sich auch zur Vorbeugung von Erkältungen setzen kann [7]. In den letzten Jahren hat auch der sanfte Tourismus solche Anwendungen für sich entdeckt.

Kärntner Biene, Krainerbiene, Karpatenbiene

Die Apis Mellifera Carnica, eine Unterart der Westlichen Honigbiene, hat viele Namen. Sie ist in Deutschland wie in der Ukraine die am weitesten verbreitete Honigbienenart. Charakteristisch sind Leistungsfähigkeit und Infektionsresistenz sowie ein ruhiges Temperament.

Die Ukraine als Gastland für das größte Bienen-Event der Welt

Ihren vorläufigen Höhepunkt erlebte die rege ukrainische Bienen-Branche 2013, als der internationale Apimondia-Kongress 8000 Delegierte und Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt in Kyiv zusammenbrachte, um sich über globale Herausforderungen der Bienenhaltung auszutauschen. Laut Kateryna Lisovska sahen sich die Imker:innen in den vergangenen Jahren vor allem mit Bienensterben durch intransparenten Pestizideinsatz und ein verknapptes Futterangebot durch hybride Monokulturen in der Landwirtschaft konfrontiert. Dieses Jahr sollte der Apimondia-Kongress in Russland stattfinden. Auf Betreiben der Bruderschaft der ukrainischen Imker entschied sich die internationale Imker-Föderation aber dafür, ihn in die Türkei zu verlegen [8].

Damit sie nicht verloren gehen

Seit Kateryna in Deutschland ist, kümmert sich ein benachbarter Imker um ihre Bienen. “Damit sie nicht verloren gehen”, wie sie sagt. Wann sie selbst wieder Honig pumpen wird, steht in keinem Kalender, aber sie ist hoffnungsvoll. Wie ein altes ukrainisches Sprichwort sagt: “Die Menschheit wird auf dem Planeten existieren, solange die Biene lebt.”

Bildnachweis

1: Gelb-blauer Bienenstock
2-6: Kateryna und Bienen
7: Karpatenbiene

Sergiy Khorolets via shutterstock
Kateryna Lisovska
ETgohome via shutterstock

Quellen

[1] https://www.apimondia2013.com.ua/20-facts-on-beekeeping-in-ukraine/ & https://deutscherimkerbund.de/161-Imkerei_in_Deutschland_Zahlen_Daten_Fakten
[2] https://www.honig-verband.de/auswirkungen-des-krieges-in-der-ukraine-auf-den-honigmarkt
[3] https://www.apimondia2013.com.ua/20-facts-on-beekeeping-in-ukraine/
[4] https://uahistory.co/mark/prokopovich.html
[5] https://www.honeyua.com/
[6] http://prokopovich.com.ua
[7] https://www.ukraine.com/blog/the-tradition-of-beekeeping-in-ukraine/
[8] https://www.apimondia.org/congress-2022.html

Ein Kommentar zu “Die Ukraine – Honigland Europas

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