“Honig ist kein Brotaufstrich, sondern ein Wunder der Natur”

Ulrich Beckmann hat sich auf die bienenfreundliche Imkerei mit minimaler Intervention spezialisiert. Seit 2015 verkauft er Presshonig aus Postbrutwaben – eine Seltenheit unter den professionellen Imkern. Wir sprachen mit ihm über seinen Weg zur Warré-Imkerei und Honig als Luxuslebensmittel.

Autorin: Anna Matuschka

Anna:

Ulrich, mit 44 hast du dich dazu entschieden, hauptberuflich Imker zu werden. Wie bist du zu den Bienen gekommen, und was hast du vorher gemacht?

Ulrich:

Bienen sind der bisher krönende Abschluss meines bunten Werdegangs. Angefangen habe ich damals als Student für Lehramt. Am Ende meines Studiums bin ich zum Theater gegangen, wo ich 15 Jahre lang als Regisseur gearbeitet habe. Die Arbeit im Theater ist ein Leben im Dunkeln, immer mit Blick auf die Bühne. Das hat mir irgendwann gereicht ich wollte raus ans Licht. Also habe ich mich mit allen möglichen alten Berufen beschäftigt: Röhrenmacher, Leiternmacher, Förster. Den Beruf des Zeidlers habe ich mir sehr romantisch vorgestellt: in der Natur auf Bäume klettern… Dann habe ich ein Praktikum bei einem großen Bioland-Imker in Brandenburg gemacht und dort zwei Saisons lang gelernt. Das war der Anfang meiner Bienenausbildung.

Anna:

Inzwischen bist du hauptberuflich Imker mit 70 Völkern an sieben Standorten in Berlin und Brandenburg. Dabei übertrifft deine Arbeitsweise bei Weitem das, was für eine Zertifizierung als Bio-Imker:in erforderlich ist. Wie kamst du dazu, deine eigenen Prinzipien des Imkerns zu definieren?

Ulrich:

Die Imkerei, wie ich sie gelernt hatte, entsprach überhaupt nicht dem, was ich mir in meinen Träumen von der Zeidlerei vorgestellt hatte. Das war industrielle Nahrungsmittelproduktion zwar nach Bio-Regeln, aber nach wie vor industriell. Nach etwas Reflektion wurde mir klar, dass Imker:innen zu viel eingreifen: Fütterung, Wanderung, Honigschleuderung die Kette wird immer länger. Mit Natur hat das nichts mehr zu tun. 

Dennoch wollte ich wissen, wie es aussieht, wenn man das Eingreifen auf die Spitze treibt. Es war Winter, die Bienen schliefen, also reiste ich auf die Südhalbkugel und besuchte konventionelle Imkereien. Das war sehr ernüchternd. Es ging nur noch darum, wie man schnell möglichst viel Honig aus den Bienen herausbekommt. Eine reine Zuckerproduktion, bei der die Honigqualität auf der Strecke blieb.

Danach suchte ich nach einem Demeter-Imker, weil es der härteste Kontrast war, der mir damals einfiel. Ich verbrachte zwei Wochen bei ihm in Australien und hatte dort beim Imkern mit Warré-Beuten den erleuchtenden Moment: Man kann tatsächlich MIT der Biene arbeiten. Ich begann Bienenliteratur zu lesen, statt mich nur auf Imkerliteratur zu verlassen, und definierte meine eigenen Regeln, die sich an den Bedürfnissen der Bienen orientieren und nicht an der Industrie: natürliche Vermehrung, natürlicher Wabenbau, natürliche Ernährung und minimale Intervention. 

Das Urtracht-Regelwerk nach Ulrich Beckmann

  • Minimale Intervention: Jeder Eingriff in den Superorganismus bedeutet Stress für die Bienen und eine Belastung ihrer Gesundheit. Daher: Häufige Inspektionen vermeiden, keine Durchsichten im Sinne der Schwarmkontrolle und keine Absperrgitter.
  • Natürliche Ernährung: Feste Bienenstandorte mit hoher Biodiversität. Jederzeit ausreichend Honig für das Bienenvolk. Keine Fütterung von Zucker und anderen Nahrungsersatzstoffen. Nur in Notfällen darf Honig aus der eigenen Imkerei zugefüttert werden.
  • Naturwabenbau: Die Verwendung bereits ausgebauter Waben oder Mittelwände ist nicht gestattet.
  • Warré-Beute: Die Warré-Beute erlaubt es dem Bienenvolk, sich frei zu entfalten und nach eigenem Bedürfnis zu wachsen. Zur Erweiterung ist ausschließlich das Untersetzen leerer Beuten gestattet.
  • Superorganismus: Das Eingreifen in das Bienenvolk z.B. durch das Austauschen von Königinnen oder das Entfernen von Drohnenbrut ist nicht gestattet.

Naturwabenbau in der Warré-Imkerei

Anstelle von Rähmchen werden hier Oberträger eingesetzt, wodurch Dickwaben mit tieferen Zellen entstehen.

Anna:

Wie sieht eine Warré-Beute aus und was unterscheidet sie von anderen Beutensystemen?

Ulrich:

Die Warré-Beute ist ein vertikales Bienenstocksystem, das das Prinzip eines hohlen Baumes nachahmt. Sie erlaubt dem Bienenvolk, sich frei zu entfalten und nach eigenem Bedürfnis zu wachsen. Wie in einer Baumhöhle hängt sich das Bienenvolk an die Decke und baut Waben nach unten in Richtung Beutenboden. Die Königin beginnt oben Eier zu legen. Wenn diese geschlüpft sind, wird in den ehemaligen Brutwaben Honig eingelagert. Die Honigglocke drückt die neue Brut praktisch runter. Im Winter frisst sich das Volk wieder rauf. Und so entsteht eine ständiges Rauf und Runter im Hohlraum.

Erweitert wird die Beute ausschließlich nach unten hin. Würde man oben eine leere Kiste aufsetzen, würde dies das Wärmeverhältnis im Stock stören. So eine Warré-Beute wird hierzulande in der Regel drei bis vier Kisten hoch, manchmal auch fünf. Zur Honigernte nehme ich im Frühjahr eine Kiste von oben weg, wenn ich sicher sein kann, dass der Honig darin nach dem Winter übrig geblieben ist. Ich ernte aber frühestens im dritten Bienenjahr.

Warré-Beute
Die Warré-Beute wurde nach dem französischen Geistlichen und Imker Abbé Emile Warré (1867-1951) benannt. Auf ähnlichen Prinzipien beruhende Beuten wurden bereits im 17.-19. Jahrhundert in verschiedenen Ländern entwickelt. Emile Warré hat sie in den 1930er Jahren weiterentwickelt und seine Erfahrungen in dem Buch “L’apiculture pour tous” (Bienenhaltung für alle) zusammengefasst. Sein Ziel war es, einen Bienenstock zu entwerfen, mit dem jeder in seinem Garten Bienen halten konnte. Daher wird die Warré-Beute auch ruche populaire (Volksbeute) genannt.

Anna:

Bei deiner Art zu imkern trittst du konsequent hinter die Bedürfnisse der Bienen zurück. Was ist dabei die größte Herausforderung?

Ulrich:

Um mit der Warré-Methode zu imkern, benötigt man gute Bedingungen und Bienen, die bereit sind, sich einen Wintervorrat anzulegen, ohne dass sie zugefüttert werden. Für einen Berufsimker ist es die größte Herausforderung, den Bienen ihren Honig als Nahrung zu lassen. Als das Warré-System vor 100 Jahren erfunden wurde, gab es noch üppige Nektareinträge von wilden Wiesen. Heutzutage ist das Nektar- und Pollenangebot minimal. Die Biodiversität in Europa ist im Keller im Vergleich zu dem, was in wirklicher Wildnis vorhanden ist. Die Bienen können davon zwar leben, aber einen Überschuss zu produzieren ist schwierig.

Anna:

Deinen Honig nennst du “Urhonig”. Was zeichnet deine Art der Honiggewinnung aus? Und was sind die Vorteile eines solchen Honigs?

Ulrich:

Meine Bienen bewohnen feste Standorte mit hoher Biodiversität. Sie werden nicht fortlaufend umgesetzt, um einen Sortenhonig nach dem anderen zu produzieren. Unser Presshonig ist somit ein Ganzjahreshonig. Er enthält die Essenz dessen, was das Jahr an Blüten hervorgebracht hat. Vor allem aber enthält er alles, was in einen Honig hineingehört – Honig, Pollen und Propolis. Nur eine Handvoll professioneller Imkereien weltweit verarbeitet Honig so wie ich. Denn die nicht-industrielle Honiggewinnung ist natürlich arbeitsintensiv und zeitaufwendig. Sie bringt jedoch auch einen Honig von außerordentlicher Qualität und geschmacklicher Intensität hervor. 

Ulrichs “Urhonig” im Querschnitt 

Presshonig enthält Pollen, Propolis und Wachsreste – das macht ihn besonders wertvoll

Anna:

“Beckmann Urtracht ist der Gegenentwurf zur Ertragsmaximierung”, steht auf deiner Website. Du entnimmst den Völkern nur 5-10 kg Honig pro Jahr. 250 Gramm Urhonig kosten daher 15 Euro. Macht das Honig zum Luxuslebensmittel?

Ulrich:

Je nach Definition schon. Wenn wir den Bienen nur den Überschuss wegnehmen, dann gehört Honig zu den Luxuslebensmitteln, die deswegen wertvoll sind, weil ihre Menge von Natur aus begrenzt ist. Wir sollten uns Gedanken darüber machen, was wir eigentlich unter Honig verstehen. Ich würde sagen, richtigen Honig kann man nicht für 3,50 Euro kaufen. Das würde ich dann nur noch Süßungsmittel nennen.

Herkömmlicher Honig wird geschleudert. Das heißt, er wird aus den Waben heraus zentrifugiert, wobei er in Form kleinster Tröpfchen an der Luft oxidiert. Dabei gehen volatile Aromen verloren und der Honig schmeckt weniger komplex. Auch Bienenbrot und Propolis kommen in Schleuderhonig kaum vor. Wir haben also ausschließlich den Nektaranteil. Was unterscheidet einen solchen Honig dann noch von pflanzlichem Zucker? Er enthält Enzyme, ja, aber nicht die volle Bandbreite.

Erst wenn wir das, was die Biene hineintut, drin lassen, haben wir einen ursprünglichen Honig und ein sehr gesundes tierisches Produkt. Dann lohnt es sich auch geringste Mengen davon zu ernten. Wir müssen aus Honig keinen Brotaufstrich machen. Honig ist Medizin, Kultur und ein Wunder der Natur.

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Bildnachweis

1-5:

Ulrich Beckmann

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