“Wir brauchen ein Umdenken in der Landwirtschaft”

Dr. Paul Siefert ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Bienenkunde der Polytechnischen Gesellschaft in Oberursel, wo er die Brutentwicklung und das Verhalten von Bienen erforscht. Wir sprechen mit ihm über den Einsatz von Insektiziden in der Landwirtschaft und die Biene als Modell für andere Insekten.

Autorin: Anna Matuschka

Anna:

Paul, wann hast du angefangen, dich mit Bienen zu beschäftigen, und warum begeisterst du dich für sie?

Paul:

Ich habe eher über Umwege zu den Bienen gefunden, über mein Interesse an der Neurobiologie und an der Verhaltensforschung. Die Theorie dahinter fand ich schon immer total spannend – die praktische Forschung war für mich aber belastend, weil dazu eben Tierversuche gehören, vor allem an Ratten und Mäusen. Mit Bienen konnte ich mir diese Arbeit besser vorstellen, allein schon aus dem Grund, dass eine Sommerbiene nicht mehr als sechs Wochen lebt.

Bienen gibt es viele in einem Volk, sie vermehren sich schnell, und sind uns nicht so nah wie Säugetiere – all das hat die Forschung an Bienen für mich moralisch vertretbarer gemacht. Und dann habe ich mich extrem in Bienen verliebt – viel mehr als ich erwartet hätte. Es ist unglaublich, wie viel Bienen mit einem vergleichsweise kleinen Gehirn leisten können. Und ihr Sozialverhalten ist faszinierend – wie alle an einem Strang ziehen und zum Gemeinwohl beitragen.

Eine adulte Biene schlüpft aus ihrer Zelle

Der Bien ist ein komplexer Superorganismus. Paul Siefert erforscht, wie genau die Entwicklung der Biene funktioniert.
Foto: Alicia Cooper via shutterstock

Anna:

Was sind deine Forschungsinteressen, und woran forschst du zurzeit?

Paul:

Derzeit betreibe ich Grundlagenforschung, um besser zu verstehen, wie Honigbienen sich entwickeln. Die Biene dient dabei als Modellorganismus für Insekten allgemein. Wenn wir mehr über die Entwicklung von Insekten wissen, können wir hoffentlich auch besser verstehen, warum so viele Insekten derzeit sterben. Die Forschung der letzten 15 Jahre hat gezeigt, dass sich Insektizide wie Neonicotinoide bei Bienen negativ auf ihre Motorik, ihren Orientierungssinn und ihr Verhalten auswirken und sie anfälliger für Krankheiten machen. Es wird jedoch immer deutlicher, dass Neonicotinoide auch Entwicklungsprozesse und die Drüsenfunktion von Bienen beeinflussen, welche nicht unmittelbar mit dem Nervensystem zusammenhängen müssen.

Neonicotinoide – Begriffserklärung

sind eine Gruppe von Wirkstoffen, die in der Landwirtschaft als Insektenschutzmittel eingesetzt werden. Sie sind bekannt als Nervengifte und haben eine ähnliche Wirkung wie Nikotin aus der Tabakpflanze. Insekten nehmen das Gift über Pflanzensäfte, Pollen und Nektar auf. Es blockiert die Rezeptoren eines wichtigen Botenstoffes namens Acetylcholin und verhindert dadurch die Reizweiterleitung im Organismus.

Anna:

Wie gehst du in deiner Forschung vor?

Paul:

Ich füttere die Bienenvölker systemisch mit Substanzen, die in der Landwirtschaft und der Imkerei eingesetzt werden, zum Beispiel mit Akariziden, die zur Bekämpfung der Varroamilbe genutzt werden. Mithilfe einer industriellen Kamera schaue ich seitlich in die Brutzellen hinein. Die Videotechnik dafür habe ich für meine Doktorarbeit entwickelt. Über Wochen hinweg entstehen digitale Aufnahmen, die später dann mit Algorithmen analysiert werden. Dafür haben wir eigens eine künstliche Intelligenz trainiert, damit sie die einzelnen Bienenverhalten innerhalb der Zelle erkennt.

Um zu erkennen, inwiefern eine Substanz sich auf die Entwicklung der Biene auswirkt, können wir auf die Sekunde genau bestimmen, wie lang sich die Brut entwickelt. Von der Eiablage, über den Larvenschlupf, zur Metamorphose und letztendlich den Schlupf der adulten Biene aus der Zelle. Wir analysieren auch das Brutpflegeverhalten: Haben die Ammenbienen zu selten gefüttert? Haben sie zu wenig geheizt? Wie lang waren die einzelnen Fütterungen? Das gibt uns Aufschluss über Verhaltensauffälligkeiten. Dann ist allerdings noch nicht klar, woran eventuelle Verzögerungen der Larvenentwicklung gelegen haben. Entwickelt sich die Larve langsamer, weil z. B. der Futtersaft verändert ist, oder weil die Ammenbienen sich anders verhalten? Das müssen wir noch weiter klären.

Kommt die Ammenbiene gerade zum Füttern, Heizen oder Bauen? Ein Machine-Learning-Algorithmus kann das Verhalten der Ammenbienen erkennen und auswerten.
Quelle: Institut für Bienenkunde

Anna:

Geht es bei deiner Forschung auch um die Risikobewertung von Insektiziden?

Paul:

Im letzten Jahrzehnt hat die Europäische Union viele Forschungsgelder in die Risikobewertung von Agrarchemikalien gesteckt. In der Zeit sind sehr viele Publikationen auf dem Gebiet entstanden. 2008 war es im Oberrheingraben zu einem großen Bienensterben gekommen. Dort hatte sich bei der Aussaat von gebeiztem, also mit Pflanzenschutzmitteln behandeltem Saatgut, eine Staubwolke gebildet, die sich dann auf die blühenden Rapsfelder in der Nähe gelegt und Bienen vergiftet hatte. Die Risikoeinschätzungen, die danach angetrieben wurden, sind dann auch politisch umgesetzt worden. Seit 2018 gibt es eine stärkere Regulierung. Die drei Neonicotinoide, die bis dahin am häufigsten eingesetzt wurden – Imidacloprid, Thiamethoxam und Clothianidin – sind seitdem in der EU verboten.

In den letzten Jahren haben wir uns von einer reaktiven Forschung weg, und hin zur Grundlagenforschung bewegt. Wir möchten die Biologie der Biene und der Insekten schon jetzt besser verstehen, damit wir nicht nur reaktiv handeln und Forschung erst dann antreiben, wenn etwas Schlimmes passiert ist. Die Empfehlungen ergeben sich durch diese Grundlagenforschung automatisch.

Mit schwerem Geschütz gegen Insekten

Insektizide werden in der konventionellen Landwirtschaft als Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Dank einer stärkeren Regulierung sind einige Stoffe in der EU nicht mehr zugelassen.
Foto: Fotokostic via shutterstock

Anna:

Ist das Thema Insektizide und „Bienen retten“ seit dem Verbot der drei Neonicotinoide überhaupt noch aktuell?

Paul:

Ich glaube, es ist ein Thema, das uns weiterhin begleitet. Es sind nach wie vor andere Neonicotinoide in der EU zugelassen. Und in der Landwirtschaft werden auch noch andere Stoffe mit ähnlichem Wirkmechanismus eingesetzt. Wenn man sich die Zahlen vom Deutschen Imkerverband anschaut, dann steht fest, dass das medial genannte „Bienensterben“ in unserem Land abgewandt ist. Das gibt es nicht. Man darf aber nicht vergessen, dass die Situation in anderen Ländern noch ganz anders aussieht. Die Forschung von hier ist wichtig für die ganze Welt.

Anna:

Muss man sich als Imker:in in der EU dann überhaupt noch um Insektizide Sorgen machen?

Paul:

Ich denke, für die Honigbiene ist die Varroamilbe hierzulande das größere Problem. Gewisse Mengen an weniger gefährlichen Insektiziden kann ein ganzes Bienenvolk auch mal abpuffern, zumindest besser als solitäre Insekten. Aber auch da kann es zu negativen synergistischen Effekten kommen. Ein Bienenvolk, das in der Nähe von gespritzten Feldern oder Rebstöcken steht, und das zudem einen hohen Milbenbefall hat, wird mehr Winterverluste durchmachen als ein Volk, das nur mit einer der beiden Belastungen fertig werden muss. Die Honigbienen haben viele Menschen, die auf sie Acht geben – hauptsächlich die Imker:innen. Wir sollten trotzdem nicht Entwarnung geben, denn das Problem betrifft weiterhin auch all die anderen Insekten, um die sich niemand kümmert.

Bienenvölker am Rapsfeld

Wenn ein Bienenvolk, das mit der Varroamilbe zu kämpfen hat, auch noch neben einem gespritzten Feld steht, kann es dadurch zusätzlich geschwächt werden.
Foto: Seepix via shutterstock

Anna:

Die Honigbiene muss also nicht mehr gerettet werden. Die anderen Insekten brauchen aber weiterhin unsere Hilfe?

Paul:

Genau. Denn durch Wasserkreisläufe können Pflanzenschutzmittel auch an andere Orte gespült werden und sich dort auf die Artenvielfalt auswirken. Zum Beispiel können Insektizide mit dem Regenwasser in Flüsse gelangen und dort Insektenlarven töten. Da Insekten so weit unten in der Nahrungskette sind, ist das ein großes Problem. Dann haben nämlich auch andere Tiere wie Vögel nicht mehr genug Nahrung.

Auch wenn das die Honigbiene weniger betrifft, würde ich sagen, dass sie weiterhin die Öffentlichkeitsarbeit für die anderen Insekten übernehmen darf. Sie leistet nämlich in der Hinsicht einen großen Beitrag. Sie ist wie der WWF-Panda, der als Zeichen für Umweltschutz steht. Wenn du Werbung gegen Pestizide siehst, oder ein Schild neben einer Wildblumenwiese, dann ist da eine Biene drauf. Und nicht die kleine Schwebfliege von nebenan, nicht die Ameise und auch nicht die Kakerlake. An die Öffentlichkeit dringt so ein Problem besser über ein Insekt, mit dem sich die Menschen identifizieren können. Und interessanterweise mag fast jede:r Bienen.

Das wahrscheinlich am häufigsten abgebildete Insekt

Die Biene übernimmt als Vorführdame die Öffentlichkeitsarbeit für weniger beliebte Insektenarten. Was den Bienen gut tut, hilft auch anderen Insekten.
Foto: Simon Collins via shutterstock

Anna:

Welchen Veränderungsbedarf siehst du in der konventionellen Landwirtschaft im Hinblick auf die Gesundheit von Bienen und anderen Insekten? Sollten Neonicotinoide komplett verboten werden?

Paul:

Die Insektizide, die aktuell eingesetzt werden, sind natürlich gefährlich, aber die Frage ist wie sehr. Hier muss man meiner Meinung nach abwägen und sich fragen, was die Alternative wäre. Wenn man Neonicotinoide und ähnliche Stoffe komplett verbieten würde, sollte man darauf achten, dass die Landwirte nicht zu viel giftigeren Stoffen greifen. Neonicotinoide zielen sehr spezifisch auf Insekten ab. Es gibt aber auch unspezifischere Pflanzenschutzmittel, die gefährlicher sind und zu großen Verlusten weiterer Tierarten wie Vögeln führen könnten.

Das Problem ist meiner Meinung nach auch der hohe Wettbewerbsdruck in der Landwirtschaft. Der Umstieg auf die ökologische Landwirtschaft wäre ideal, ist aber nicht für jede:n von heute auf morgen umsetzbar. Da führt für manche Landwirte aktuell kein Weg an Insektiziden vorbei. Was es braucht ist also ein Umdenken in der Landwirtschaft allgemein. Wir müssen neue Wege finden, um die Massen an Lebensmitteln auf umweltverträgliche Weise kostengünstig herzustellen.

Mehr von Dr. Paul Siefert

Wer tiefer in die Materie einsteigen möchte, kann sich hier die Ergebnisse von Dr. Paul Sieferts Forschung anschauen.

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