Auf gute Nachbarschaft: Interkulturelle Projekte von Stadtbienen

Mit Förderprojekten engagiert sich Stadtbienen sozial und lässt beim Imkern Nachbar:innen zu Freund:innen werden

Autorin: Josephine Ziegler

„Wenn es den Bienen gut geht, geht es allen gut.“ Louay Dawouds Stimme ist ganz ruhig, genau wie seine Bewegungen, als er den Honigrahmen aus der Bienenbox zieht. Mit prüfendem Blick hält er ihn vor sich in die Luft und stellt fest, dass seine Schützlinge munter an ihren Waben bauen. Ihn umgibt noch der kräuterige Duft des Räuchermaterials im Smoker. Jeder Handgriff sitzt – bereits seit zwei Jahren kümmert sich Louay im Projekt „Gemeinsam Imkern“ an der Bauhütte Kreuzberg e.V.  um bis zu vier Bienenvölker. Schon in seiner syrischen Heimat hat der Bauingenieur Bienen bewundert: „Sie machen alles genau richtig, sie machen nichts kaputt.“ Doch nicht nur hatte er damals zu wenig Zeit, um sich neben dem Beruf mit den Tieren zu beschäftigen. Auch machten die dortigen Imker ein großes Geheimnis um ihre Arbeit, wie Louay erzählt. 

Nachbarschaft und Naturschutz

Als Louay hingegen in Berlin auf Anja Kern von den Stadtbienen traf, lief er mit seinem Wunsch, sich mit den fleißigen Insekten auseinanderzusetzen und Verantwortung zu übernehmen, offene Türen ein. Mit „Gemeinsam Imkern“ plante Anja ein Projekt, das bürgerschaftliches Engagement in der Nachbarschaft mit Naturschutz verbinden, interkulturelle Begegnungen fördern und insbesondere Migrant:innen sozial integrieren sollte. Das Projekt sollte von praktischer Arbeit an den BienenBoxen leben, weshalb Gemeinschaftsgärten als langfristige Partner gefunden werden mussten. Beim Suchen und Finden konnte Andreas Roth unterstützen, der seit vielen Jahren in der Berliner Gartenszene aktiv ist und Kreuzberg wie seine Westentasche kennt. Inzwischen arbeitet Andreas als Projektleiter für das Stadtbienen-Projekt „Mehr_Garten“, wo gemeinschaftlicher Gemüseanbau, Regenwassermanagement und die Förderung der lokalen Biodiversität auf seiner Agenda stehen.

Louay Dawoud überprüft, wie es den Bienen an der Kreuzberger Bauhütte geht

Während der Laufzeit von „Gemeinsam Imkern“ hat der ehemalige Bauingenieur aus Syrien sich einen Traum erfüllt und das Imker-Handwerk gelernt. 

Im Frühling 2021 waren zwei Projektstandorte gefunden, an denen angehende Jung-Imker:innen sich fast jeden zweiten Samstag über eine Projektlaufzeit von zwei Jahren zusammenfinden würden: die Bauhütte Kreuzberg am berühmten Checkpoint Charlie sowie das Himmelbeet im nordwestlich gelegenen Stadtteil Wedding. In beiden Gemeinschaftsgärten wurden jeweils mehrere Bienenvölker angesiedelt. Für ihre Betreuung waren die frisch geformten Projektgruppen zuständig, die von den Stadtbienen-Imker:innen Nadja Wrona und Andreas Bauer in das Imkerhandwerk eingeführt wurden.

„Gemeinsam Imkern“ bringt die Nachbarschaft zusammen

Die Projektgruppe bespricht an einem Frühlingstag gemeinsam die anstehenden Arbeiten. 

Begegnungen im Garten

Die Teilnehmenden von „Gemeinsam Imkern“ waren mitunter schon vor Projektstart in den Nachbarschaftsgärten aktiv gewesen, hatten aber wenig Kontakt miteinander gehabt. So konnten Anja und die Imker:innen einige Teilnehmende sehr leicht für das Projekt gewinnen. Andere Kontakte kamen über Migrationsberatungsstellen oder Begegnungsstätten zustande – wie die der AWO, in der Louay als Bundesfreiwilliger arbeitete. Schnell wurde die Akquise zu einem Selbstläufer, weil die Teilnehmenden in ihrem Umfeld von ihren Erlebnissen berichteten oder Interessierte durch die Sichtbarkeit der Projektarbeit in den Gemeinschaftsgärten angezogen wurden. „Für manche Begegnungen braucht es nur den richtigen Rahmen“, fasst Anja zusammen. Und so wurde „Gemeinsam Imkern“ zu dem Bienen- und Naturschutzprojekt, das wir im Sinn gehabt hatten, zugleich aber auch viel mehr als das. Mit Unterstützung von Teilnehmerin Ilona Weinen kam im Jahr 2022 mit dem Mehrgenerationenhaus Mittelhof e. V. in Zehlendorf ein dritter Projektstandort im Berliner Südwesten dazu. Auch dort fand sich schnell eine engagierte Gruppe für das Projekt zusammen.

Ein dritter Projektstandort im Berliner Südwesten

Projektleiterin Anja Kern (in Rot) 2022 mit Ilona Weinen (Mitte) und weiteren Teilnehmenden in Zehlendorf. Mit vereinten Kräften wurde die BienenBox zusammengebaut, das neue Zuhause für die Projektbienen. 

Interkulturelles Lernen

Bei der gemeinsamen Arbeit treffen Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen aufeinander. „Du lernst, vieles zu verstehen – auch andere Kulturen“, betont Louay. Deutsch spielt dabei als Vermittlungssprache eine zentrale Rolle und das Kümmern um die Bienen bietet einen gemeinsamen Identifikationsrahmen für die sich bisher fremden Nachbar:innen. In unserem aktuellen Wirkungsbericht stellen wir Daten vor, die nahelegen, dass „Gemeinsam Imkern“ die Nachbarschaften tatsächlich mitgestalten konnte. Es haben sich dauerhafte Freundschaften entwickelt und die Teilnehmer:innen haben Verantwortung für die Gemeinschaftsorte übernommen. Über die Sorge für die Bienen hinaus sind weitere Anknüpfungspunkte entstanden, so etwa eine gemeinschaftliche Organisation des Gieß-Managements in den Gärten.

Mehr als ein Naturschutzprojekt

Bei der gemeinsamen Arbeit mit den Bienen begegnen sich verschiedenste Menschen aus der Nachbarschaft, lernen voneinander – und haben einfach eine gute Zeit zusammen. 

Wo sind die Frauen?

Die meisten Teilnehmenden des Projekts waren männlich. „Ich kenne einige Familien, die sich nicht getraut haben“, berichtet Fatme Ahmedova. Die zweifache Mutter, die die Natur liebt und immer nach Möglichkeiten sucht, sich persönlich weiterzuentwickeln, hatte sich schon lange gewünscht, dass im Gemeinschaftsgarten an der Bauhütte noch mehr passiert. Von der Initiative von Stadtbienen war sie begeistert: „Die Kinder brauchen die Verbindung zur Natur!“ Doch wegen der vordergründig männlichen Teilnehmenden hätten sich insbesondere Mütter nach anfänglichem Interesse schnell wieder zurückgezogen. Das brachte Fatme und die Stadtbienen auf die Idee, mit „Familien schwärmen aus“ ein Projekt für Frauen und Kinder zu entwickeln.

„Familien schwärmen aus“ lädt Mütter und Kinder ein, die Welt der Bienen zu entdecken

Ein vielfältiges, spannendes und kindgerechtes Programm bringt Familien in Kontakt mit Bienen, Stadtnatur – und mit anderen Familien im Kiez. 

Jetzt sind die Familien dran

Das Interesse an den Vorgängen in der Natur sei bei vielen Kindern vorhanden, resümiert Fatme. “Aber es verkümmert, wenn die Eltern es nicht fördern und es keine Möglichkeiten in der Nähe gibt, es auszuleben.” Während bei „Gemeinsam Imkern“ auch die Fachsprache manch potentielle:n Teilnehmer:in abgeschreckt hat, sollte im Folgeprojekt der erste Kontakt mit Bienen und der sie umgebenden Flora noch niedrigschwelliger sein. Die Kinder können – zu besonderen Anlässen auch mal im Bienenkostüm – die fleißigen Insekten beobachten, frischen Honig kosten und mitten in der Stadt in Kontakt mit der Natur kommen. Dabei lernen sie auch wichtige Lektionen fürs Leben. „Die Bienen arbeiten immer gemeinsam, ohne Konflikte“, schwärmt Fatme. Das sei ein Wunder und ein großes Vorbild für die Menschen.

Förderprojekte

Mit seinem Fokus auf die nachbarschaftliche Einbeziehung von Migrant:innen erfüllte das Projekt „Gemeinsam Imkern“ zentrale Kriterien für eine Förderung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Im Gegensatz zu Firmenkooperationen oder Kursen für zahlende Teilnehmer:innen werden solche Förderprojekte durch externe öffentliche oder gemeinnützige Geldgeber finanziert. Das ermöglicht es Stadtbienen, soziale Projekte losgelöst vom Druck finanzieller Rentabilität zu verwirklichen. Für jedes Projekt dieser Art muss ein Förderantrag gestellt werden und die Bewilligung der Mittel ist an eine bestimmte Projektdauer gebunden.

Abschluss “Gemeinsam Imkern” im Sommer 2023

Am Projektstandort Bauhütte Kreuzberg wurde nach 2,5 Jahren Laufzeit der Abschluss von “Gemeinsam Imkern” gefeiert. Der Standort ist nun auch ein wichtiger Anlaufpunkt für “Familien schwärmen aus”. Die Bienen werden weiter von einer engagierten Kleingruppe bestehend aus ehemaligen Teilnehmenden versorgt.

Ein Ende und ein Anfang

So war das Ende des einen Projekts der Anfang eines neuen. „Gemeinsam Imkern“ ist im Oktober 2023 nach 2,5 Jahren Projektdauer ausgelaufen. Doch die Gruppe an der Bauhütte, die durch das Projekt zusammengefunden hat, kümmert sich weiter gemeinsam um die zwei Bienenvölker, auch Fatme und Louay engagieren sich weiterhin ehrenamtlich im neuen Förderprojekt. Und „Familien schwärmen aus“ kann von den Lektionen aus „Gemeinsam Imkern“ lernen. Mütter als Zielgruppe haben beispielsweise eine wichtige Multiplikatorinnenrolle. Sie tragen die Projektidee in ihre Netzwerke und bringen ihre Kinder mit Bienen und Natur in Kontakt. „Genau das ist unser Ziel”, sagt „Familien schwärmen aus”-Projektleiterin Christine Maxwell, „wir möchten, dass das Projekt von Haus zu Haus, von Familie zu Familie getragen wird. Unsere Hoffnung ist, dass die teilnehmenden Familien im Laufe des Projektes so sehr ins sprichwörtliche Schwärmen kommen, dass sie die Verantwortung für die Bienen und die Natur im Kiez übernehmen, gemeinsam Veranstaltungen und Treffen planen und sich weiterhin vernetzen.”

Und so wird es auf den Treffen von “Familien schwärmen aus” auch tatsächlich immer voller und trubeliger. Im Winter war es indes ruhiger um die Insekten, aber im Hintergrund haben wir mit unseren Partner:innen weiter für unsere Förderprojekte gearbeitet. Selbst wenn zwischenzeitlich nur zwei oder drei Leute zu den Treffen kämen, sagt Fatme, sei das gut. „Es werden auch wieder mehr. Wir müssen immer weitermachen und dürfen nicht aufgeben.“ Sie denkt dabei auch an die Wildbienen: „Die sind oft ganz allein – aber jede von ihnen zählt.“

Bildnachweis

1: Marie Fröhlich
2: Josephine Ziegler
3: Louay Dawoud
4: Marie Fröhlich

5: Marie Fröhlich
6: Louay Dawoud
7: Marie Fröhlich

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