“Ein bisschen mehr Demut vor der Natur würde uns ganz gut stehen.”

Thore arbeitet seit 2020 bei Stadtbienen am Projekt “Wilde Wiese”. Er erzählt uns, was ihn am Projekt begeistert und wie für ihn die Stadt der Zukunft aussieht.

Autorin: Anna Matuschka

Anna:

Thore, wann hast du angefangen, dich intensiv mit Bienen zu beschäftigen, und wie hast du zu den Stadtbienen gefunden?

Thore:

Ich habe 2014 angefangen in Hamburg an einer Schule zu arbeiten und dabei Torben Schiffer kennengelernt. Einigen ist der Name vielleicht bekannt: Torben Schiffer setzt sich viel mit den natürlichen Bedürfnissen von Honigbienen auseinander und hat auch Bücher darüber veröffentlicht. Ich habe viel mit ihm zusammen geforscht. Wir haben Untersuchungen zu den Behausungen von Honigbienen gemacht – menschengemachte und natürliche – und haben dabei viele interessante Sachen herausgefunden. Er hat mich an die Bienen herangeführt und ich schätze ihn sehr.

Ich studiere aktuell Landschaftsnutzung und Naturschutz an der Hochschule Eberswalde. Durch das Studium hat sich mein Blick geweitet auf andere Bienen als die Honigbiene und andere Insekten. Das Projekt Wilde Wiese soll sich ja genau um diese anderen Bestäuber kümmern. So bin ich dann vor zwei Jahren erst als freiberuflicher Berater bei den Stadtbienen gelandet. Seit diesem Jahr kann ich als Werkstudent noch mehr von meinem Wissen über Wildbienen-Ökologie und allgemeine Ökologie in das Projekt einfließen lassen.

Anna:

Worum geht es bei dem Projekt Wilde Wiese?

Thore:

Wir bei Stadtbienen möchten ja einen städtischen Lebensraum für Honigbienen sowie andere Bienen und Insekten schaffen, um die biologische Vielfalt zu fördern. In Deutschland gibt es auf dem Land sehr viel industrielle Landwirtschaft mit Monokulturen und Pestiziden. Das führt einerseits zu einer Nahrungsarmut für alle bestäubenden Insekten. Andererseits gehen mehr und mehr natürliche Lebensräume dadurch verloren, dass der Boden verdichtet oder versiegelt wird, zum Beispiel indem regelmäßig schwere Maschinen über die Felder fahren oder neue Siedlungen und Industriegebiete gebaut werden.

Im Vergleich dazu ist die Stadt wesentlich strukturreicher. Es gibt Steinmauern mit Ritzen und Spalten. Es gibt die ein oder andere geschützte sandige Stelle. Vor meiner Haustür in Eberswalde habe ich eine Hosenbienenart dabei beobachtet, wie sie in der sandigen Ritze zwischen den Gehwegplatten ihre Brutkammern angelegt hat. Die Stadt kann also ein Lebensraum sein, wo viele Arten einen Rückzugsort finden. Dann ist es natürlich wichtig, dass auch in der Stadt ein ausreichendes Angebot an Nektar und Pollen vorhanden ist. Beim Projekt Wilde Wiese wollen wir einerseits die Abundanz (die Menge an Individuen bestimmter Arten) und andererseits die Diversität (die Vielfalt der Arten) erhöhen. Das gilt für Insekten und Pflanzen gleichermaßen.

Wissen, was zu tun ist, und praktisch anpacken

Damit Wildbienen und andere Insektenarten in der Stadt ein Zuhause finden, brauchen sie Nahrung und Nistplätze. Dafür setzt sich Thore bei den Stadtbienen im Projekt Wilde Wiese ein.
Foto: Julia Steinigeweg

Anna:

Inwiefern hängt die Vielfalt der Pflanzen mit der Vielfalt der Bienen zusammen?

Thore:

Die Vielfalt in der Pflanzenwelt und die Vielfalt in der Bienenwelt sind eng miteinander verwoben. Die Entwicklung von bedecktsamigen Pflanzen, von denen viele die Bestäubung von Insekten brauchen, ist ja eine Koevolution. Sie können nicht ohne einander. Die Insekten brauchen den Nektar und den Pollen, und die Pflanzen brauchen die Bestäubung. Daher ist es auch so, dass sich viele Arten in einer engeren Abhängigkeit entwickelt haben. Bei den Bienen gibt es verschiedene Ernährungsweisen. Manche sind polylektisch, und andere sind oligolektisch.

Polylektische Arten wie die Honigbiene haben ein breites Nahrungsspektrum. Sie können sich von vielen verschiedenen Pflanzenarten ernähren, weil sie zum Beispiel eine relativ universell einsetzbare Rüssellänge und Körpergröße haben. 

Oligolektische Arten haben ein geringeres Nahrungsspektrum. Sie können sich von weniger Pflanzenarten ernähren, manchmal nur von einer Gattung oder sogar nur einer Art. Die Rüssel und Körper vieler Wildbienen sind kleiner, sodass sie je nach Aufbau der Blüte nicht an den Nektar herankommen können.

Bei manchen oligolektischen Wildbienen gilt also: Gibt es die Pflanze nicht, dann gibt es die Biene nicht. Andersherum ist es ein bisschen ausgewogener, weil es natürlich immer noch sein kann, dass dann zum Beispiel die Honigbiene die Pflanze bestäubt. Da kann man sich aber auch nicht bei jeder Pflanze drauf verlassen, weil es eine große Vielfalt gibt und Honigbienen immer nur die am effizientesten blühenden Pflanzen anfliegen. Wenn eine Honigbiene zum Beispiel einen Apfelbaum in voller Tracht gefunden hat, kann sie das ihren Schwestern mitteilen. Dann organisieren sich die Honigbienen so, dass sie alle die Apfelblüte anfliegen. Andere Pflanzen sind dann erstmal uninteressant.

Anna:

Mit dem Projekt Wilde Wiese werden also Räume geschaffen, wo viele verschiedene Insekten- und Pflanzenarten miteinander leben können. Wie sieht das dann in der Praxis aus?

Thore:

Das Projekt startet offiziell im Spätsommer/Herbst 2022, und gerade haben wir einige Pilotprojekte am Laufen. Eines davon mit einem Immobilienunternehmen, das sich für Nachhaltigkeit und Biodiversität einsetzen möchte. Zusammen gestalten wir die Fläche zweier ihrer Wohnobjekte um und legen dort Blühflächen an. Damit von Anfang an etwas blüht, kaufen wir fertige Stauden von der Gärtnerei Hofgrün in Berlin-Kreuzberg, die regional angepasste Arten anbietet. Zusätzlich werden die Flächen, die wir anlegen, mit Sand abgemagert, um eine größere Biodiversität zu ermöglichen. Denn in magerem Boden können viele verschiedene Pflanzen nebeneinander wachsen, ohne dass eine Art die andere überwuchert. Dort wird dann Saatgut von regionalen, im Naturraum vorkommenden Pflanzen von der Firma Rieger-Hofmann ausgebracht. Je nachdem, in welchem Größenmaßstab wir arbeiten, gehört auch das Pflanzen von Sträuchern und Obstbäumen dazu.

Zusätzlich zum Nahrungsangebot wollen wir den Insekten die Möglichkeit geben, auch in der Stadt zu nisten. Man kennt ja die klassischen Insektenhotels, mit Röhrchen aus Pappe und Bambus, oder auch mit Bohrungen in hartem Holz. Aber 70 Prozent der in Deutschland lebenden Bienen sind Bodenbrüter, das heißt, sie bauen ihre Nester im Boden, und das oft in lehmigem Sand oder Lösssand, in den sie ihre Brutgänge nagen. Dazu bauen wir ihnen ein sogenanntes Sandarium. Wir schütten also einen Hügel aus lehmigem Sand auf und bringen noch etwas Holz mit Bohrungen für andere Arten ein. Darauf pflanzen wir Sukkulenten, also stark wasserspeichernde Pflanzen, und andere trockenheitsverträgliche Arten, die mit der Zeit einen Teppich bilden können und den Sandhügel befestigen sollen, damit er besser gegen Regen und Erosion geschützt ist.

Das “Sandarium” als Lebensraum für bodenbrütende Wildbienenarten

Nistplätze für Wildbienen sind auch in der Stadt wichtig. In diesem Hügel aus lehmigem Sand finden Bodenbrüter einen Ort zum Nisten. In der Fachwelt werden solche Konstruktionen Sandarien genannt.
Foto: Julia Steinigeweg

Anna:

Das sieht bestimmt viel schöner aus als ein öder Rasen um die Wohnanlage herum, klingt aber auch aufwendiger. Wie wird das von den Anwohner:innen angenommen? Und wer kümmert sich darum?

Thore:

Natürlich versuchen wir auch die Anwohner:innen einzubeziehen und einen Mehrwert für sie zu schaffen. In unserem zweiten größeren Pilotprojekt haben wir Hochbeete mit Trockensteinmauer angelegt. Diese Trockensteinmauer ist ein toller Lebensraum: Da sind Ritzen und Spalten, in denen Insekten leben, und in die einige Bienenarten ihre Brutgänge bauen. Dabei können sie auch noch den Lehm nutzen, den wir zwischen die Steine gepackt haben. Und in diesen Hochbeeten können die Anwohner:innen Kräuter für sich anbauen, die wiederum für die Bienen Nektar und Pollen spenden.

Wenn wir eine komplett neue Blühfläche anlegen, dann muss sich schon jemand drum kümmern, am Anfang jedenfalls intensiv. Die Fläche muss sechs Wochen konstant feucht gehalten werden, damit die Stauden anwachsen und die Saat aufgeht oder keimt. In der Zeit muss auf jeden Fall regelmäßig gegossen werden. Bei unserem ersten Projekt mit der Immobilienfirma macht das eine Studenten-WG. Die haben von der Firma das Equipment zum Gießen bekommen, und machen das auch ganz gewissenhaft. Da bin ich sehr dankbar. Bei größeren Objekten gibt es ja oft einen Gärtner vor Ort. Da bedarf es auch viel Kommunikation und Wissensaustausch.

Bei unserem Projekt in der Nähe vom Tempelhofer Feld haben wir zusätzlich zum umgestalteten Innenhof hinter dem Haus noch eine Fläche. Da haben wir mit dem Grünflächenmanagement abgesprochen, dass die einfach weniger mähen. Die Fläche wurde ein bis zwei Mal Anfang des Jahres gemäht und wird jetzt im Sommer bis September stehen gelassen. Wir haben dort ein Schild hingestellt, auf dem steht: “Hier entsteht eine Fläche für Insekten.” Ich war letztens da – es sieht schön aus, es blüht: Margeriten und Habichtskraut und Vogelwicke. Da bin ich jetzt ganz gespannt, wie es sich entwickelt. Ich glaube, es ist einfach wichtig die Leute zu informieren – die Bereitschaft ist oft da.

Win-Win-Situation

Dank dieser Hochbeete mit Trockensteinmauer, die wir im Sommer 2022 angelegt haben, wird das Leben der Anwohner:innen und das Leben der Bienen aufgewertet und der Ort verschönert.
Foto: Julia Steinigeweg

Anna:

Wenn du eine Sache im öffentlichen Bewusstsein ändern könntest, was wäre das?

Thore:

Ich würde mir wünschen, dass wir mehr Vertrauen darin haben, dass die Erde, auf der wir leben, eigentlich unglaublich resilient ist. Die Erde gibt uns von sich aus schon viel, und wenn wir uns mit Bedacht um sie kümmern, kann sie uns noch viel mehr geben. Ich glaube, dass wir das aktiv ermöglichen und sogar auch noch selbst erleben können. Wir sollten uns nicht daran aufhängen, dass es irgendwann zu viele Menschen auf der Erde geben wird, sondern darauf vertrauen, dass die Erde – wenn wir vernünftig mit ihr umgehen – sogar noch viel mehr Menschen ernähren könnte. Dann kann sich ein Gleichgewicht einstellen.

Und ich glaube, dass uns als kollektiver Menschheit auch ein bisschen mehr Demut vor der Natur ganz gut stehen und weiterbringen würde. Wir wissen ja schon einiges, es gibt viele Studien und tolle Bücher, und es wird immer weiter geforscht. Aber wir könnten den Wert von alledem mehr schätzen lernen. Denn das, was da in der Natur ohne unser Zutun gewachsen ist, ist einfach unglaublich stabil. Und da können wir uns fragen, was wir punktuell unterstützen können, statt zu kontrollieren. Uns inspirieren lassen und Ideen entstehen lassen mit dem, was schon da ist, statt die Erde gewaltsam nach unserer Vorstellung zu formen.

Anna:

Du hast ja gesagt, dass wir diesen Wandel selbst noch erleben können. Wie sieht denn deine Vision davon aus? Wie könnten oder sollten unsere menschlich geprägten Lebensräume aussehen?

Thore:

Diversität ist da auch ein gutes Stichwort. Ich finde es wichtig, dass Menschen da leben, wo Landwirtschaft betrieben wird. In Eberswalde bekomme ich mit, dass viele Menschen wieder Lust haben, eher ländlich zu leben und sich mit Pflanzenkultivierung und Tierhaltung zu beschäftigen. Landwirtschaftliche Flächen kann man divers gestalten, sogar vielfältiger, als wenn sie wild sind. Aber unberührte Natur, die einfach sein darf, hat auf jeden Fall auch ihr Recht, und das müssen wir ihr einräumen: mehr Wälder, Flusslandschaften, Moore, die sich einfach ausbreiten dürfen. Die Stadt ist daher auch ein sehr interessanter Ort, allerdings gehen wir derzeit mit dem Platz in der Stadt eher dämlich um. Da ist viel ungenutztes Potential, denn dieser Raum, wo Menschen eng zusammenleben, kann unglaublich produktiv sein. Man kann an Gebäudewänden Gemüse und Kräuter anbauen. Man kann auf Dächern von Hochhäusern zum Beispiel Aquaponik betreiben. Dabei werden Gewächshäuser mit Fischzucht verbunden und das Abwasser des Hauses kann recycled werden. Es wäre wichtig, mehr solcher Systeme zu implementieren.

In meiner Vision würde man außerdem die Straßen anders nutzen, Autos stark limitieren, also mehr Fahrräder, mehr kleine Transportfahrzeuge – elektrische oder besser noch mechanische – nutzen. Es gäbe auch mehr grüne Korridore in den Städten. Also Grünflächen, Verbände aus Bäumen und anderen Pflanzen, die miteinander verbunden sind. So können Populationen von Insekten, aber auch von Säugetieren und Vögeln auf diesen grünen Straßen reisen und sich austauschen, was für deren genetische Vielfalt wichtig ist. Für mich persönlich macht es einen großen Unterschied, wenn ich morgens aufwache und Vögel zwitschern höre, aus dem Fenster gucke und ein Eichhörnchen da lang hüpfen sehe. Das stimmt mich wesentlich zuversichtlicher für den Tag als aufzustehen, direkt Straßenlärm zu hören und stickige Luft einzuatmen.

Bildnachweis

1: Portrait Thore
2: Header
3-5: Wilde Wiese

Thore
Julia Steinigeweg
Julia Steinigeweg

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