Das Bienenjahr
Das Leben der Bienen entwickelt sich zyklisch im Lauf der Jahreszeiten. Immer spielt sich der gleiche Kreislauf ab. Im Frühjahr wird der Bien immer größer, bis um die Sommersonnenwende die größte Anzahl von Bienen im Stock haust. Anschließend verkleinert sich das Volk wieder, bis im Winter Ruhe einkehrt. Doch schon früh im Jahr beginnt die Königin wieder Eier zu stiften, und die Reise beginnt aufs Neue. Diese Entwicklung des Bienenstaats richtet sich dabei nach vielen Faktoren. Das Wetter – vor allem die Temperatur – und das jahreszeitlich bedingt unterschiedliche Blütenangebot regeln die Volksstärke. Aber die Lage und weitere Einflüsse spielen hier eine Rolle.
Frühling (März bis Juni)
Wenn früh im Jahr die Temperatur das erste Mal über rund 12 Grad steigt und die Sonne auf die Bienenbox scheint, kannst du ein Schauspiel beobachten, dem alle Imker*innen entgegenfiebern. Der Reinigungsflug steht an. Wenn Hunderte Bienen gleichzeitig ihr Haus verlassen, hat das einen ganz profanen Grund: Nach Monaten eingesperrt in der Beute müssen sie dringend mal aufs Klo. Doch du kannst dich freuen: Dieses Volk hat den Winter überlebt und bereitet sich auf ein weiteres Jahr vor.
Je nach der Winterwitterung saßen die Winterbienen bis zu fünf Monaten im Dunkeln ihrer Bienenbox und haben sich gegenseitig warmgehalten. Jetzt aber, mit der ersten Wärme, die oft schon im Februar vorkommt, wird es Zeit, die Kotblase zu leeren. Die Königin hat schon wieder zu stiften begonnen, ein kleines Brutnest wird durch die Abwärme der vibrierenden Flugmuskulatur kontinuierlich bei 35 Grad gehalten. Die Bienen, du merkst es deutlich, kommen langsam wieder in Schwung.
Noch dauert es ein bisschen. Die ersten mutigen Flugbienen besuchen die Haselsträucher oder ein paar Krokusse, um Pollen für die junge Brut nach Hause zu bringen. Doch erst wenn die Weiden- und die Obstblüte einsetzen und mit ihr der Nektarreichtum beginnt das Volk zu explodieren. Alles scheint gleichzeitig zu blühen und der Bien erhält einen ordentlichen Schub. Die Königin legt immer mehr Eier – irgendwann bis zu 1500 am Tag, was ihrem eigenen Gewicht entspricht –, das Volk schwillt innerhalb kürzester Zeit an und schafft durch neu gebaute Waben Platz für die schiere Menge an Bienen.
Gleichzeitig erkennst du auf den Waben eine neue und größere Art von Zellen. Hier wachsen die Drohnen heran, die männlichen Bienen, deren einzige Aufgabe darin besteht, junge Königinnen bei ihrem Hochszeitsflug zu begatten. Auch sie fallen dir sofort auf, denn sind größer als die Arbeiterinnen, und ihre großen Augen deutlich zu erkennen. Nimm ruhig mal einen in die Hand, das ist ganz ungefährlich: Drohnen haben keinen Stachel.
Irgendwann spüren die Bienen, dass sie stark und gesund genug sind, um sich zu vermehren. Sie wollen schwärmen. Dafür können sie sich eine neue Königin heranziehen, und die alte verlässt mit einem großen Teil der Arbeiterinnen den Stock. Den Schwarm kannst du nicht verpassen: Wenn sich mehr als 10.000 Bienen gleichzeitig in die Luft erheben, machen sie einen ordentlichen Lärm und vollführen ein beeindruckendes Schauspiel. Die abgeschwärmten Bienen suchen sich ein neues Zuhause. Besser ist jedoch, du fängst sie ein, gibst ihnen eine neue Beute und sicherst ihr Überleben. Keine Angst, das ist gar nicht so schwer, denn Schwarmbienen haben weder Vorräte noch Brut zu verteidigen und sind daher sehr friedlich.
Im zurückgebliebenen Volk schlüpft unterdessen die junge Königin, geht eine Woche später auf Begattungsflug und fängt an zu stiften. So wird aus einem Volk zwei und die Bienen haben sich fortgepflanzt.
Sommer (Juli bis September)
Während du vielleicht noch darüber nachdenkst, wohin der Sommerurlaub hingehen soll, bereiten sich die Bienen ab ungefähr Juli schon wieder auf den nächsten Winter vor. Die Königin stiftet weniger Eier, und das Brutnest, welches zur Schwarmzeit durch die hohe Legeleistung stark angewachsen ist, wird jetzt wieder kleiner. Die Sammelbienen holen jetzt mehr und mehr Nektar ein, den die Stockbienen zu Honig verarbeiten. Er ist der Vorrat für die kalte Jahreszeit, den die Bienen eintragen müssen. Denn bald blüht nichts mehr, und wer jetzt nicht vorsorgt, wird über den Winter verhungern.
Unnötige Fresser sind da nicht mehr willkommen. Es gibt keine Jungköniginnen mehr, also braucht es auch keine Drohnen mehr zu Begattung. Sie werden nicht mehr benötigt und nehmen nur unnötig Nahrung weg. Also werden sie aus dem Bienenstock geschafft. Du kannst im August oft beobachten, wie meist mehrere Arbeiterinnen bei der so genannten Drohnenschlacht einen Drohn aus dem Flugloch zerren und vor der Bienenbox liegen lassen. Dort warten dann schon Vögel oder auch Wespen auf den willkommenen Proteinsnack.
Herbst (Oktober und November)
Ab September legt die Königin Eier, aus denen die erste Winterbienen schlüpfen. Sie leben sehr viel länger als ihre Sommerkolleginnen, denn sie müssen den ganzen Winter über den Bien warmhalten. Die Tage werden schnell kürzer, die Temperaturen sinken, das Volk wird immer ruhiger, und die Anzahl der Individuen im Stock ist zurückgegangen. Wenn es die Temperaturen zulassen, sind die Flugbienen hin und wieder außerhalb der Behausung unterwegs und sammeln den letzten Nektar ein. Auch in kälteren Nächten müssen die Arbeiterinnen ihr verbleibendes Brutnest auf 35 Grad halten, um aus dieser Brut die letzten Winterbienen zu bekommen, die jetzt das Volk und vor allem die Königin über den kommenden Winter bringen sollen.
Winter (Dezember bis Februar)
Jetzt wird es richtig kalt. Von den rund 10.000 Bienen, die jetzt im Stock sind, wirst du nichts mehr zu sehen bekommen. Sie sitzen in der Wintertraube und wärmen sich gegenseitig. Über mehrere Waben bilden sie eine mehr oder weniger eng gepackte Kugel und zittern mit der Flugmuskulatur. Dadurch erzeugen sie die nötigen 35 Grad und schützen so die letzte Brut. Dabei rotieren sie innerhalb der Traube, damit sie abwechselnd außen sitzen und sich dann weiter innen wieder aufwärmen können. In der Mitte sitzt die Königin und hört nach den ersten Nachtfrösten für ein paar Wochen auf zu stiften. Das Volk ist komplett brutfrei und das Volk in der Winterruhe. Sie bemühen sich, so wenig Energie wie möglich zu verbrauchen und ihre Honigvorräte zu schonen. Einzig ein ganz leises Brummen ist vielleicht zu hören, wenn man das Ohr ans Flugloch hält. Aber stör sie bitte nicht, sie vertragen jetzt keine Aufregung!